Nicht erst seit Corona befinden sich die Innenstädte in der Region Ruhr in einem tiefgreifenden Strukturwandel. Veränderungen im Einkaufsverhalten führen seit vielen Jahren zu einem Rückgang des stationären Handels und damit zu immer mehr Leerständen und Attraktivitätsverlust. Wie also können die Stadtzentren der Ruhrstädte wiederbelebt werden? Wie sieht die Innenstadt der Zukunft aus? Und welche Rolle spielt das Handwerk dabei?
Diese Fragen standen im Mittelpunkt des 4. Ruhr Forums Handwerk, das am 29. September unter dem Titel „Leben statt Leerstand“ gemeinsam von den drei Handwerkskammer der Region Ruhr – Dortmund, Düsseldorf und Münster – in Moers ausgerichtet wurde. WDR-Moderator Helmut Rehmsen führte im historischen Ambiente der ehemaligen Zeche Rheinpreußen durch die Konferenz.
Handwerk strebt funktionsgemischte Stadt an
Die Präsidenten der „Ruhr-Kammern“ betonten gleich zu Beginn, dass das Handwerk eine funktionsgemischte Stadt anstrebe. „Unsere Innenstädte brauchen ein Miteinander von Wohnen, Arbeiten und Freizeit. Diese Vielfalt macht sie lebendig und lebenswert“, so Andreas Ehlert, Präsident der Handwerkskammer Düsseldorf. „Dazu gehören natürlich auch Handwerksbetriebe – vom Bäcker über den Zweiradmechaniker bis zur Goldschmiedin.“
Hans Hund, Präsident der HWK Münster, berichtete von einem zunehmenden Verdrängungswettbewerb zu Lasten des Handwerks, da die Wohnbebauung immer mehr Gewerbeflächen beanspruche.
„Deshalb ist es zunächst einmal entscheidend, bestehende Standorte zu sichern und Gewerbeflächen zu schützen“, betonte der Elektroinstallateur- Kälteanlagenbauermeister. Gleichzeitig gelte es, Neuansiedlungen zu ermöglichen, etwa „indem wir Lücken schließen, die der stationäre Einzelhandel hinterlässt.“
“Keine nachhaltige Stadt ohne das Handwerk”
Die Potenziale dieser freiwerdenden Flächen sah auch der Dortmunder Kammerpräsident Berthold Schröder, der zudem die unverzichtbare Rolle des Handwerks bei der Umgestaltung der Städte hervorhob. „Handwerk hat eine Schlüsselfunktion bei der Modernisierung unserer Städte. Egal ob beim Klimaschutz oder bei umweltfreundlicher Mobilität: Keine nachhaltige Stadt ohne das Handwerk.“ Auch die Umsetzung neuer Städtebaukonzepte ließe sich ohne die „Wirtschaftsmacht von nebenan“ nicht realisieren. Daher forderte Schröder von der Politik eine Bildungswende zu Gunsten der beruflichen Bildung, um mehr Fachkräfte für die Zukunftsberufe des Handwerks zu gewinnen.
Handwerk als Umsetzer politischer Entscheidungen
Auch Staatssekretär Daniel Sieveke aus dem Landesministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung stellte in seinem Impulsvortrag den Beitrag des Handwerks als Umsetzer politischer Entscheidungen heraus. „Ohne Sie lassen sich unsere Vorhaben nicht in die Tat umsetzen“, erklärte Sieveke. Zudem skizzierte er seine Vorstellung einer modernen Innenstadt als multifunktionaler Ort mit breitem Branchenmix. Dazu gehöre auch das Handwerk, wie er als Sohn eines Tischlermeisters aus eigener Erfahrung wisse. Allerdings könne die aktuelle Energiekrise einen Beschleunigungsprozess beim Leerstand der Stadtzenten in Gang setzen. „Gerade jetzt müssen sich unsere Innenstädte deshalb neu erfinden“ stellte Sieveke fest. Dafür wolle die Landesregierung gemeinsam mit allen Partnern an Lösungen arbeiten – ein Austausch, zu dem das Handwerk herzlich eingeladen sei.
Flächenpotenziale in Umgebung der Fußgängerzonen
In der anschließenden Podiumsdiskussion ging es um die Frage, wie das Handwerk wieder seinen Platz in der Innenstadt finden kann. Eckhard Brockhoff, Geschäftsführer eines Essener Immobiliendienstleisters, sah dabei für viele Handwerksbetriebe Flächenpotenziale in naher Umgebung zu Fußgängerzonen. Auch in den oberen Etagen von Kaufhäusern könne er sich etwa Ausstellungsflächen eines Fliesenlegers gut vorstellen. Klar sei aber auch: „Nicht jedes Grundstück passt zu den Anforderungen jedes Betriebs.“
Der Moerser Bürgermeister Christoph Fleischhauer betonte, dass für eine zukunftsgerichtete Flächenplanung der Austausch mit allen Akteuren entscheidend sei. Gleiches berichtete Michael Mauer von der Kreishandwerkerschaft Ruhr aus seiner Heimatstadt Bochum. „Wir haben bei uns eine hervorragende Zusammenarbeit zwischen Stadtverwaltung, Wirtschaftsförderung und regionaler Wirtschaft“, so der Kreishandwerksmeister. Mauer sprach sich neben der Funktionsmischung in Stadtzentren auch für eine Clusterung von Betrieben in „Handwerksquartieren“ aus.
Aktive Stadtplanung muss Belange des Handwerks berücksichtigen
Ein Best-Practice-Beispiel für die Wiederbelebung von Flächen lieferte abschließend der Wirtschaftsdezernent aus Mülheim an der Ruhr, Felix Blasch. Er berichtete vom ehemaligen Tengelmann-Areal, das zurzeit als funktionsgemischtes Quartier reaktiviert werde. Ein Modell, das mit Blick auf viele stillgelegte Industrieparks im Ruhrgebiet durchaus Potenzial habe. „Letztendlich müssen wir auf eine aktive Stadtplanung setzen, um auch die Belange des Handwerks zu berücksichtigen“, erklärte Blasch den Mülheimer Ansatz.
Nach einem diskussionsreichen Abend waren sich alle Referenten einig: Die Wiederbelebung der Innenstädte kann gelingen, wenn alle Akteure an einem Strang ziehen. Schließlich hat sich das Ruhrgebiet in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder neu erfunden.
Zum Hintergrund: Handwerk Region Ruhr
Die Zukunft der Region Ruhr liegt nach dem Ende des Bergbaus in der Stärkung der mittelständischen Strukturen und der beruflichen Bildung. Die Handwerksorganisationen in der Region Ruhr – die drei Handwerkskammern Dortmund, Düsseldorf und Münster sowie elf Kreishandwerkerschaften – haben sich daher 2018 in der Arbeitsgemeinschaft “Handwerk Region Ruhr” zusammengefunden, um ihre politischen Positionen gemeinsam und auf regionaler Ebene zu vertreten.