Aktenberge Bürokratieabbau
Übermäßige bürokratische Pflichten dürfen Handwerksbetriebe nicht überfordern und an den Rand der Leistungsfähigkeit bringen

Bürokratieabbau

„Dokumentations- und Informationspflichten, Paragrafen-Wirrwarr und eine sich ständig ändernde Gesetzgebung: Das Handwerk ächzt unter den Belastungen, die durch bürokratische Vorgaben entstehen. Besonders die kleinen und mittleren Betriebe, in denen jede Hand gebraucht wird, werden durch Bürokratie stark ausgebremst.“ mehr

Berthold Schröder, Präsident der Handwerkskammer Dortmund

Haben Sie Fragen oder Anregungen zum Thema „Bürokratieabbau“? Dann melden Sie sich gerne bei uns unter buerokratieabbau@hwk-do.de

Positionspapier: Bürokratieabbau

Für die Handwerksbetriebe im Kammerbezirk Dortmund stellt die Belastung durch bürokratische Vorgaben ein ernst zu nehmendes Problem dar. Dabei stehen nicht einzelne Rechtsakte im Fokus, vielmehr ist es die Fülle an Anforderungen, die zu einer Herausforderung im betrieblichen Alltag wird.

Zahlreiche Unternehmerinnen und Unternehmer berichten davon, dass sie die Erledigung der umfangreichen bürokratischen Vorgaben von ihrem ursprünglichen Aufgabenspektrum abhalte. Zudem mehren sich Äußerungen dahingehend, dass Bürokratie Betriebsinhaberinnen und Betriebsinhabern die Freude an der unternehmerischen Tätigkeit verleidet und junge Gründungswillige abschreckt.

Bürokratie ist zu einem gewissen Grad notwendig, um Rechtssicherheit zu gewährleisten und unsere komplexen Wirtschafts- und Gesellschaftsstrukturen zu ordnen. Doch die bürokratischen Vorgaben haben mittlerweile ein kritisches Maß erreicht. Wir brauchen einen leistungsfähigen Mittelstand, der die lokale Wirtschaft antreibt und Ausbildungs- und Arbeitsplätze schafft. Dafür benötigen die Betriebe des Handwerks wieder mehr Freiräume, um ihrer eigentlichen Arbeit nachzugehen und auch Innovationen und neue Geschäftsmodelle anzustoßen.

Das Handwerk im Kammerbezirk Dortmund wünscht sich wieder ein stärkeres Vertrauen in die grundsätzliche Rechtstreue seiner Betriebe. Das Leitbild des ehrbaren Kaufmanns, der nachhaltig wirtschaftet und sich für seinen Standort auf verschiedenen Ebenen engagiert, ist fest mit der Unternehmenskultur im Handwerk verknüpft. Der Staat sollte daher nur dann in das unternehmerische Handeln eingreifen, wenn sich Betriebe nicht rechtstreu verhalten.

Obwohl bereits Maßnahmen zum Abbau von Bürokratie auf Landes- und Bundesebene ergriffen wurden, kommen diese Erleichterungen selten spürbar in den Betrieben an oder entfalten nicht ihre volle Wirksamkeit angesichts zugleich neu eingeführter Bürokratie. Die Vollversammlung der Handwerkskammer Dortmund schlägt darum sechs Handlungsfelder vor, um spürbare Entlastungseffekte zu erzeugen.

Im Einzelnen

  1. Mehr Vertrauen in die Rechtstreue von Betrieben

Zahlreiche Dokumentationspflichten zielen darauf ab, zweifelhafte Geschäftsmethoden unseriöser Unternehmen einzudämmen. Dabei haben die Unternehmen ein großes Eigeninteresse daran, sich rechtskonform zu verhalten. Gerade die kleinen Betriebe des Handwerks leben vom Qualitätsversprechen und dem Kontakt zum Kunden. Das Verhalten weniger schwarzer Schafe sollte nicht dazu führen, dass allen Betrieben von vorneherein mit Misstrauen begegnet wird. Die Verwaltung muss den Rechtsbruch eines Betriebs beweisen, nicht der Betrieb sein rechtmäßiges Handeln. Darum sollten die Dokumentationspflichten konsequent gestrichen werden, deren maßgeblicher Zweck darin besteht, die Rechtstreue im Fall von Prüfungen darlegen zu können.

  1. Bürokratiebegriff neu denken

Bürokratie ist mehr als der messbare Erfüllungsaufwand für Nachweis-, Berichts- oder Dokumentationspflichten. Oft werden Belastungsfaktoren aus der Praxis nicht in den Bürokratiebegriff der Politik eingeschlossen. Dies gilt insbesondere für das Europarecht und den einmaligen Umstellungsaufwand bei neuen gesetzlichen Vorschriften.

Um die tatsächlich empfundenen Belastungen wirksam anzugehen, muss die Politik ihren Bürokratiebegriff erweitern und mit dem Verständnis der Unternehmen in Einklang bringen.

  1. Aufbau neuer Bürokratie vermeiden / „Think small first“

Vorhandene Belastungen abzubauen, kann nur ein Aspekt einer erfolgreichen Entlastungsstrategie sein. Die effizienteste Entlastung besteht darin, bürokratische Belastungen vorausschauend zu erkennen und zu vermeiden. Gemäß dem „Think small first“-Prinzip sollte bei neuen Regulierungen zuerst hinterfragt werden, ob die geplante Norm auch für kleine und mittlere Unternehmen umsetzbar ist. Außerdem sollten das Wissen und die Erfahrung der Praxis stärker einbezogen werden, um lebensnahe Auswirkungen der Vorschriften abschätzen zu können.

  1. Effiziente Verwaltung schaffen durch Digitalisierung

Eine beschleunigte Digitalisierung öffentlicher Verwaltungsprozesse, insbesondere von Planungs- und Genehmigungsverfahren, ist ein wichtiger Hebel beim Bürokratieabbau. Sämtliche Schnittstellen, die im unternehmerischen Alltag wichtig sind, sollten flächendeckend vereinheitlicht und miteinander vernetzt werden. Mit dem Wirtschaftsserviceportal (WSP) hat das Land NRW die Grundlage für ein flächendeckendes digitales Angebot der öffentlichen Verwaltung gelegt. Diesen Ansatz gilt es jetzt konsequent weiterzuverfolgen. Ein höherer Digitalisierungsgrad kann außerdem die Doppelerfassung von betrieblichen Daten deutlich reduzieren.

  1. Komplexität reduzieren, Verfahren beschleunigen

Gesetze, Verordnungen und Vorschriften sind oft als Rechtstexte formuliert. Da in Handwerksbetrieben selten juristisch ausgebildetes Personal beschäftigt ist, bereitet das Verständnis und die Beantwortung solcher Texte oftmals Schwierigkeiten. Daher sollten Gesetze, Verordnungen und Vorschriften allgemeinverständlich formuliert und gestaltet sein.

Auch sollten komplexe Planungsverfahren mit mehrteiligen Prüfungsstufen vereinfacht werden, um Doppel- oder Mehrfachabfragen zu vermeiden und Verfahren dadurch zu beschleunigen

  1. Zeitliche Freiräume schaffen

Jede Gesetzesänderung bedeutet für Handwerksbetriebe großen Aufwand. Betriebsprozesse müssen neu definiert, Beschäftigte geschult und Meldungen an Behörden vorgenommen werden. Darum sollte eine Mindestfrist zwischen Verabschiedung und Inkrafttreten eines Gesetzes eingeführt werden, damit die Betriebe sich entsprechend auf die Änderung einstellen können. Außerdem sollten Gesetze einheitlich an einem von zwei Stichtagen im Jahr in Kraft treten. Gesetzesänderungen zu gleichgelagerten Sachverhalten sollten nicht unterjährig erfolgen.

  1. Übererfüllung bei EU-Vorschriften vermeiden

Bei der Umsetzung von EU-Richtlinien ins nationale Recht wird oft noch mehr Bürokratie geschaffen. Entweder, weil die Regulierung über die festgeschriebenen Mindeststandards hinausgeht oder weil die in der Richtlinie enthaltenen Möglichkeiten für Vereinfachungen nicht wahrgenommen werden. Land und Bund sollten darum bei der Umsetzung in Bundes- und Landesrecht von EU-Vorgaben diese Übererfüllung, oder auch „Gold-Plating“, vermeiden, um die Belastungen für Unternehmen so gering wie möglich zu halten.

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Sonderumfrage zum Bürokratieabbau

Eine Sonderumfrage zum Thema „Bürokratieabbau“ der Handwerkskammer Dortmund im Frühjahr 2020 ergab, dass vier von fünf Handwerksbetrieben im Kammerbezirk von bürokratischen Prozessen mindestens stark belastet sind. Auf die Frage nach den konkreten Maßnahmen, die die stärkste Belastung für die befragten Betriebe darstellt, konnte die Umsetzung der Datenschutzgrundverordnung (DGSVO) und relevanter datenschutzrechtlicher Prozesse die meisten Stimmen auf sich vereinen.

Im Durchschnitt wenden die Befragten 12 Stunden und 48 Minuten pro Woche auf, um den Bürokratieanforderungen und Dokumentationspflichten nachzukommen. Bei den durchschnittlich 15,2 Mitarbeitern der Betriebe stellt dies eine nicht unerhebliche Bindung von Kapazitäten dar.

Dass das Thema Bürokratieabbau hochemotional bei den Handwerksbetrieben diskutiert wird, zeigt die hohe Beteiligung der Befragten an der Sonderumfrage. So nahmen sich insgesamt 186 Befragte, also 23 %, die Zeit bei der offenen Frage ihre persönliche Antwort zu formulieren. Die Frage lautete: In welchen weiteren Bereichen sehen Sie (unangemessene) Belastung durch Bürokratie und überbordende Reglementierung im täglichen Geschäftsbetrieb? Häufig genannte Punkte waren u. a. die Präqualifizierungsmaßnahmen bei den Krankenkassen, Anforderungen der Berufsgenossenschaften, die Abfallverordnung oder Gefährdungsbeurteilungen.

Aktuell arbeitet die Handwerkskammer Dortmund an einem Positionspapier zum Thema. In den vergangenen Monaten besuchten Kammer-Vertreter regionale Betriebe, um mit ihnen über die Bürokratie-Lasten zu diskutieren. Die Ergebnisse und Vorschläge werden in das Papier münden.

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Umfrage

Praktische Beispiele aus Handwerksbetrieben und IfM-Studie

Bürokratische Prozesse und Dokumentationspflichten belasten Handwerksbetriebe in starkem Maße und binden Kapazitäten. Überbordende Dokumentationspflichten oder komplizierte Formulare führen dazu, dass Handwerksunternehmer viel Zeit am Schreibtisch verbingen. Nur so können sie die wachsenden administrativen Pflichten bewältigen. Doch angesichts der Vielzahl von Gesetzen und Verordnungen, die es zu beachten gilt, wird das immer schwerer.

Ergänzend zu den praktischen Beispielen aus den verschiedenen Handwerksbetrieben hat das Institut für Mittelstandsforschung (IfM) aus Bonn eine Studie zur „Bürokratiewahrnehmung von Unternehmen“ durchgeführt. Die Studie wurde Mitte 2019 veröffentlicht und untersucht, wie Unternehmen Bürokratie wahrnehmen. An der Studie waren vor allem kleine und mittlere Unternehmen (KMU) beteiligt (92,4%), aber auch Großunternehmen (7,6%).

Die Studie konnte drei Wahrnehmungstypen identifizieren:

  1. Der unbelastete Typ: Er sieht Bürokratie weniger negativ und pflegt damit einen sachlichen Umgang
  2. Der pragmatische Typ: Dieser Typ ist emotional involviert und empfindet eine stärkere Belastung
  3. Der verdrossene Typ: Geht sehr emotional mit dem Thema um, fühlt sich unfair behandelt und stark belastet

Mehr als die Hälfte aller Unternehmen ist dem verdrossenen, gut ein Drittel dem pragmatischen und knapp ein Zehntel dem unbelasteten Typ zuzuordnen. Ein erheblicher Anteil der Unternehmen steht dem Nutzen von bürokratischen Regeln und Vorschriften skeptisch gegenüber. Oftmals sind sie kaum in der Lage, alle bürokratischen Erfordernisse vollumfänglich umzusetzen. Ein beträchtlicher Teil baut ganz bewusst Bürokratie autonom ab. Zugleich zeigen die Unternehmen eine hohe Bereitschaft, die Politik im Prozess des Bürokratieabbaus aktiv zu unterstützen.

Was Handwerkern besonders zu schaffen macht
Bürokratie beenden Freiräume schaffen

Bürokratie neu denken. Freiräume schaffen.

Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) hat die spürbare Entlastung von Betrieben zum Schwerpunktthema des Jahres 2019 gemacht. Die Handwerksorganisationen haben über das gesamte Jahr in verschiedenen Veranstaltungsformaten die für Handwerksbetriebe maßgeblichen Belastungsursachen identifiziert. Entscheidend ist, dass die Ursachen im Austausch mit der Handwerkerschaft diskutiert worden sind. Es handelt sich damit um eine authentische Bestandsaufnahme der betrieblichen Praxis. Aus den Ergebnissen hat der ZDH gezielte Forderungen und konkrete Vorschläge zur Entlastung von Betrieben erarbeitet.

ZDH-Sonderseite

Der Forderungskatalog wurde unter dem Motto „Bürokratie neu denken. Freiräume schaffen.“ veröffentlicht. Entstanden sind 52 Forderungen und Vorschläge, die zur Entlastung von Betrieben beitragen sollen.

Dazu erklärte der damalige ZDH-Präsident Wollseifer: „Die Politik muss endlich einsehen, dass die Gesetzgebung zunehmend an der Lebenswirklichkeit und Leistungsfähigkeit unserer Betriebe vorbeigeht. Viele Handwerker schwanken zwischen Wut und Resignation angesichts der Fülle an Regularien, Vorschriften, Dokumentationsvorgaben und -pflichten. Zum Teil spielen Handwerker sogar mit dem Gedanken, den Betrieb aufzugeben, oder sehen sich gezwungen, manchmal auch im Graubereich zu agieren. Und viele potenzielle Nachfolger schreckt das aktuelle Bürokratiedickicht davon ab, sich selbstständig zu machen oder einen Betrieb zu übernehmen. Die Vorschläge des Handwerks liegen auf dem Tisch, und der Weg aus der Sackgasse ist klar. Jetzt braucht es Entschlossenheit und Willenskraft aller Verantwortlichen aus Bundesregierung, Bundestag und Verwaltung, diesen Weg zielstrebig und gemeinsam zu gehen.“

Ergänzend gibt es ein Youtube-Statement des ehemaligen ZDH-Präsidenten, in dem er auf den Prozess zur Entwicklung des Forderungenkatalogs eingeht und deutlich macht was das Handwerk jetzt braucht:

Maßnahmen und Gesetze auf Landes- und Bundesebene

Die Wirtschaftspolitik auf Landes- und Bundesebene hat in den vergangenen Jahren schrittweise ein vielfältiges Instrumentarium aufgebaut, das auf Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung abzielt. Hier bekommen Sie einen Überblick über bisherige Maßnahmen und Gesetze in Nordrhein-Westfalen und Deutschland.

  • Die Landesregierung möchte die Politik für das Handwerk und den Mittelstand auf die Erkenntnisse und Empfehlungen der Enquete-Kommission „Zukunft von Handwerk und Mittelstand in NRW“ stützen sowie Handwerk und Mittelstand von Bürokratie befreien
  • Dazu hat die Landesregierung fünf so genannte „Entfesselungspakete“ beschlossen und teilweise schon umgesetzt. Darin sind z. B. Maßnahmen zum Bürokratieabbau beinhaltet. U. a. die Abschaffung der Hygenie-Ampel, die Einführung der vollelektronischen Gewerbeanmeldung und klare und verlässlichere Rahmenbedingungen für die Einführung der elektronischen Rechnung in Nordrhein-Westfalen
  • Forcierung der Gründungsoffensive „Neue Gründerzeit NRW„, die auch bürokratische Hindernisse in den Fokus nimmt (u. a. Einführung des Gewerbe-Service-Portal.NRW)
  • Ganz aktuell (Stand: 01.04.20) hat das Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung eine neue Landesinitiative gestartet, die es Städten und Gemeinden zukünftig ermöglichen soll, schneller und effektiver Planungen bei der Bauleitplanung durchführen zu können. Durch Rahmenverträge sollen Bau- und Planungsprozesse in den Kommunen beschleunigt werden, um zügiger bauen zu können
  • Einführung der Bürokratiebremse („One in, one out“-Regel: In gleichem Maße Belastungen abbauen, wie durch neue Regelungen zusätzliche Belastungen entstehen)
  • Der Bundestag hat drei „Bürokratieentlastungsgesetze“ verabschiedet. Diese Gesetze beinhalten u. a. die Entlastung bei Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten, die Förderung der Digitalisierung im Handwerk (Modernisierung der Handwerksordnung) oder die Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsmeldung
  • Weitere Maßnahmen: Die Einführung einer elektronischen Gewerbeanzeigeverordnung (2015), eine umfassende Vergaberechtsreform (2016) oder die Einführung eines Wettbewerbsregisters (2017)
  • Der Nationale Normenkontrollrat (NKR) wurde 2006 etabliert und ist ein unabhängiges Beratungsgremium der Bundesregierung. Er soll die Bundesregierung bei der Reduzierung von Bürokratie unterstützen und prüft die transparente und nachvollziehbare Darstellung der Bürokratiekosten aus Informationspflichten und seit 2011 die gesamten Folgekosten (Erfüllungsaufwand) in allen Gesetzes- und Verordnungsentwürfen der Bundesregierung. Dem Rat gehört u. a. Hanns-Eberhard Schleyer an, der 20 Jahre lang Generalsekretär des Zentralverbands des Deutschen Handwerks war