Dortmund. Die Folgen der Corona Pandemie sind noch immer spürbar, gleichzeitig verändert sich der Ausbildungsmarkt stark. Insbesondere bei der Zahl der Jugendlichen, die sich für eine duale Berufsausbildung interessieren, wird dies sichtbar. Während die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber um eine Ausbildungsstelle erneut rückläufig ist, ist die Ausbildungsbereitschaft der Dortmunder Unternehmen trotz der wirtschaftlich unsicheren Zeiten ungebrochen. Eine Bilanz des Ausbildungsjahres 2021/2022 stellten Industrie- und Handelskammer, Handwerkskammer, DGB und Agentur für Arbeit Dortmund heute gemeinsam vor.
Vor allem mit Blick auf den Fachkräftebedarf war die gemeinsame Botschaft aller Beteiligten: Die Chancen für junge Menschen einen Ausbildungsplatz zu finden, sind in Dortmund so gut wie schon lange nicht mehr. Eine Ausbildung bietet für junge Menschen die optimale Startposition fürs Arbeitsleben. In den vielen Ausbildungsberufen in Handwerk, Industrie und Handel gibt es vielfältige Aufstiegs- und Karrierechancen und damit passende Bildungswege für jedes Karriereziel – gerade auch mit Blick auf anstehende Zukunftsaufgaben rund um Digitalisierung, Klimaschutz oder Energie- und Mobilitätswende.
Eine Herausforderung sei jedoch, dass die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber um eine Ausbildungsstelle weiter rückläufig ist und dass, obwohl der Beratungsbedarf bei Jugendlichen nach zwei Jahren Pandemie wieder deutlich gestiegen ist. So fanden gut 20 Prozent mehr Berufsberatungen als im Vorjahr statt, doch interessierten sich deutlich weniger für eine Berufsausbildung, auch mündeten weniger Jugendliche am Ende in eine Ausbildung ein. Viele setzen auf eine vertraute Lebenssituation und entscheiden sich für einen weiteren Schulbesuch. Gemeinsam möchten die Bündnispartner mehr junge Menschen davon überzeugen, dass eine Ausbildung eine gute, in vielen Fällen sogar bessere aber vor allem eine perspektivenreiche Alternative nach dem Schulabschluss ist.
Diese Bilanz zogen Maike Fritzsching, Geschäftsführerin Berufliche Bildung und Fachkräftesicherung der Industrie- und Handelskammer zu Dortmund, Olesja Mouelhi-Ort, Geschäftsführerin der Handwerkskammer (HWK) Dortmund, Jutta Reiter, Geschäftsführerin der DGB-Region Dortmund-Hellweg sowie Heike Bettermann, Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Dortmund.
Handwerkskammer Dortmund
„Zum Oktober verzeichnet das Handwerk in Dortmund ein Plus von 6,1% bei neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen im Vergleich zum Vorjahr. Dies ist ein erfreulicher Wert und zeigt, dass die Aktivitäten der Partner zur Nachwuchsgewinnung Früchte tragen. Trotzdem sind immer noch 64 freie Lehrstellen in Dortmund in der Lehrstellenbörse der Handwerkskammer (HWK) Dortmund verfügbar. Gleichzeitig trüben die Zahlen für den gesamten Kammerbezirk die Stimmung etwas ein: Dort sind die Ausbildungszahlen um 1,8% Prozent zurückgegangen im Vergleich zu 2021. Darüber hinaus verzeichnen wir noch 462 freie Lehrstellen im Bezirk der HWK Dortmund.
Die Zahlen verdeutlichen, wie schwierig sich die Fachkräftegewinnung im Handwerk aktuell gestaltet. Im Rahmen einer Sonderumfrage der HWK gab fast jeder zweite Betrieb an trotz Bemühungen keine geeigneten Mitarbeiter zu finden. Die Weiterentwicklung von Strategien zur Gewinnung und Sicherung von Fachkräften wird daher eines der Megathemen für die Handwerkskammer und das Handwerk in den nächsten Jahren sein“, kommentiert Olesja Mouelhi-Ort, Geschäftsführerin der HWK Dortmund.
Agentur für Arbeit Dortmund
„Trotz des steigenden Fachkräftebedarfs bleiben zu viele Ausbildungsplätze unbesetzt. Obwohl die Chancen besser sind als je zuvor, entscheiden sich die jungen Menschen oftmals gegen eine qualifizierte Berufsausbildung und für Alternativen wie den weiteren Schulbesuch oder ein Studium. Wir spüren ein deutlich schwindendes Interesse an der Dualen Berufsausbildung. Das bereitet uns Sorgen. Unsere europäischen Nachbarn schauen mit Bewunderung auf das deutsche Erfolgsmodell der Dualen Berufsausbildung, nur in Deutschland selber ist man skeptisch, wird Ausbildung oft als uncool und unattraktiv empfunden. Wenn es um Einkommen, Absicherung gegen Arbeitslosigkeit und spannende Berufe geht, ist das Studium für viele Jugendliche, Eltern, Lehrer und Journalisten immer noch das Maß aller Dinge“, kommentiert Arbeitsagenturchefin Heike Bettermann die Situation auf dem Ausbildungsmarkt.
„In der öffentlichen Wahrnehmung sind berufliche und akademische Bildung leider noch nicht gleichgestellt. Ein akademischer Abschluss ist gut, aber nicht das non plus Ultra. So zeigt eine aktuelle Studie des Instituts für Angewandte Wirtschaftsforschung (IAW), dass beruflich Qualifizierte bis zum 60 Lebensjahr und damit während des größten Teils ihres Berufslebens, finanziell gegenüber Akademikern oftmals sogar die Nase vorn haben. Das Finanzielle ist aber nur ein Kriterium unter vielen. Umweltbezogene und soziale Aspekte nehmen bei der jungen Generation ebenfalls zunehmend eine Schlüsselrolle ein. Klimawandel, Energiewende, nachhaltiges Wirtschaften und globale Gerechtigkeit – auch bei diesen aktuellen und zukünftigen Herausforderungen spielt die Duale Berufsausbildung eine gewichtige Rolle. Zum Beispiel der oder die Dachdeckerin baut z.B. Sonnenkollektoren und photovoltaische und windenergetische Elemente in Dach- und Wandflächen ein, oder der oder die Elektronikerin, sie sind die Fachkräfte für Smart Home und Künstliche Intelligenz. Die beruflichen Perspektiven sind richtig gut. Ich kann junge Menschen daher nur dazu ermutigen, die Chance einer Ausbildung zu ergreifen. Den Weg dorthin ebnen, können Praktika. Die jungen Menschen erhalten dabei mehr als nur Einblicke in die Arbeitswelt. Hemmungen und die Distanz, die viele, der zum Teil noch sehr jungen Menschen gegenüber der Erwachsenenarbeitswelt haben, gehen verloren, und der Schritt sich für eine Ausbildung zu entscheiden, wird kleiner.
Deutschland braucht Fachkräfte, dringender denn je. Die aber müssen ausgebildet werden. Unsere gemeinsame Aufgabe ist es, wieder mehr junge Menschen für Ausbildung zu begeistern. Dafür ist es wichtig, dass wir alle eine Sprache sprechen und die eine Botschaft verbreiten: Eine Ausbildung lohnt sich“, so Bettermann weiter.
Industrie- und Handelskammer Dortmund
„Mit Blick auf den Ausbildungsmarkt können wir eine leicht positive Tendenz feststellen. Erstmals seit Beginn der Coronapandemie hat die IHK zu Dortmund Ende Oktober wieder ein Plus an neu eingetragenen Ausbildungsverträgen gegenüber dem Vorjahreszeitraum verzeichnet. Das ist eine erfreuliche Nachricht. In Dortmund waren es insgesamt 2.570 Neuverträge – ein Anstieg von 8,7 Prozent gegenüber 2021. Mit diesen Vertragszahlen ist das Niveau von 2019 zwar noch nicht wieder erreicht, es wird aber sehr deutlich, dass die Betriebe ausbilden wollen. Die Ausbildungsstellen sind also vorhanden. In der Berufsgruppe ‚Hotel und Gaststätten‘ wurden beispielsweise bis zum 31. Oktober in der gesamten IHK-Region gut 40 Prozent mehr neue Ausbildungsverträge geschlossen. Hier werden die Nachholeffekte aus den Vorjahren sehr deutlich. Was die Fachkräftesicherung betrifft, so setzen die Unternehmen stark auf die duale Berufsausbildung. Leider gibt es dennoch eine hohe Anzahl an unbesetzten Ausbildungsstellen im Kammerbezirk. Es fehlen insbesondere die passenden Bewerberinnen und Bewerber.
Eine zentrale Herausforderung bleibt somit das Ausbildungsmarketing und damit die Gewinnung der jungen Menschen für eine duale Berufsausbildung. Wir als IHK haben deshalb nicht nur unsere Veranstaltungsreihe ‚Azubi-Speed-Dating’ wieder in Präsenz gestartet, sondern auch unsere Azubi-Botschafter erneut in die Schulen geschickt. Außerdem haben wir zusammen mit der HWK sowie den Arbeitsagenturen, den Jobcentern und den Wirtschaftsförderungen in der Region die Kampagne ‚Stabile Zukunft‘ ins Leben gerufen, die Lust auf eine Ausbildung machen soll“, sagt Maike Fritzsching, IHK-Geschäftsführerin für Berufliche Bildung und Fachkräftesicherung.
DGB Dortmund
„Fast jeder fünfte junge Erwachsene in NRW verbleibt dauerhaft ohne jede berufliche Qualifikation. Das dürfen wir nicht weiter hinnehmen! Nur auf den ersten Blick ist das Verhältnis von Stellen für Bewerber*innen ausgewogen, eigentlich ist der Bedarf an Ausbildungsplätzen wesentlich höher. Viele Jugendliche tauchen in der Statistik gar nicht auf, weil sie sich nach dem Schulabschluss nicht bei der Arbeitsagentur registriert haben und direkt an das Berufskolleg wechseln, ohne dort einen beruflichen Abschluss zu erwerben. Um aktiv gegenzusteuern, müssten mehr Ausbildungsplätze auch für schwächere Jugendliche angeboten werden. Wir brauchen endlich eine Ausbildungsgarantie in Nordrhein-Westfalen. Nur so können alle Jugendlichen, die einen Ausbildungsplatz suchen, auch einen bekommen. Zur Finanzierung brauche es einen umlagefinanzierten Zukunftsfonds Ausbildung, in den nicht-ausbildende Unternehmen einzahlen“, sagt Jutta Reiter, Vorsitzende DGB Dortmund.
Hoher Beratungsbedarf – weniger Interesse an Ausbildung
Vom 1. Oktober 2021 bis 30. September 2022 meldeten sich bei der Berufsberatung im Jugendberufshaus Dortmund insgesamt 3.548 junge Frauen und junge Männer, die eine duale Ausbildung suchten und dabei Unterstützung nachfragten, 236 oder 6,2 Prozent weniger als im Vorjahr. Bis Ende September haben in Dortmund davon 1.768 junge Menschen eine Ausbildung oder Erwerbstätigkeit begonnen. Das entspricht einem Anteil von rund 50 Prozent. Andere Jugendliche entschieden sich dagegen für einen weiteren Schulbesuch, einen gemeinnützigen sozialen Freiwilligendienst oder nehmen an einer berufsvorbereitenden Fördermaßnahme der Agentur für Arbeit teil.
Der Beratungsbedarf von Jugendlichen beim Übergang von der Schule in den Beruf hat im Vergleich zum Vorjahr stark zugenommen. Rund 8.200 junge Dortmunder und Dortmunderinnen suchten im vergangenen Jahr Rat bei der Berufsberatung. Das sind knapp 20 Prozent mehr als im Vorjahr. Doch signalisierten weniger als die Hälfte Interesse an einer dualen Berufsausbildung. Der größere Teil entschied sich für andere Wege.
85 Bewerberinnen und Bewerber hatten Ende September weder eine Ausbildungsstelle noch eine Alternative gefunden. Doch auch nach dem offiziellen Ende des Ausbildungsjahres ist es noch möglich, in Ausbildung einzusteigen. Die Berufsberater und Beraterinnen arbeiten mit großem Engagement zusammen mit den Partnern und Partnerinnen im Ausbildungskonsens daran, auch diesen Jugendlichen noch eine berufliche Perspektive zu bieten. Es gibt für alle Ausbildungsinteressierten auch jetzt noch betriebsnahe Angebote.
Ausbildungsbereitschaft ist spürbar
Unternehmen, Betriebe, Verwaltungen und Träger meldeten im abgelaufenen Berichtsjahr 3.751 Ausbildungsplatzangebote. Obwohl viele Betriebe trotz der Krise an ihrem Ausbildungsengagement festhalten, entspricht dies einem Minus im Vergleich zum Vorjahr von 319 oder 7,8 Prozent.
154 Lehrstellen waren zum Stichtag noch unbesetzt. Im vergangenen Jahr waren es 145. Besetzungsschwierigkeiten traten insbesondere in folgenden Berufen auf: Verkäufer/in im Lebensmitteleinzelhandel, Gebäudereiniger/in, Friseur/in, Fachinformatiker/in und Elektroniker/in.
Die Qualifikation, Alter und Herkunft der Ausbildungssuchenden
Von den insgesamt 3.548 gemeldeten Jugendlichen, die sich für eine duale Ausbildung interessierten, verfügten 1.218 über die Fachhochschul- oder Hochschulreife. Damit sank der Anteil an allen Bewerberinnen und Bewerbern um knapp 9 Prozent auf aktuell insgesamt 34,3 Prozent.
2.027 Schülerinnen und Schüler mit Hauptschul- oder Realschulabschluss haben sich im vergangenen Jahr bei der Berufsberatung angemeldet, dies entspricht einem Anteil von rund
57 Prozent. Leicht gestiegen ist die Bewerberzahl der jungen Menschen ohne Schulabschluss, es sind insgesamt 196, 48 mehr als vor einem Jahr. Sowohl die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber aus berufsbildenden Schulen als auch aus den allgemeinbildenden Schulen ist im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen. Auch haben sich weniger Studierende, die mit dem Gedanken spielen, ihr Studium abzubrechen, um alternativ in eine Ausbildung zu starten, im Jugendberufshaus Dortmund gemeldet.
Vielfältige Passungsprobleme trotz rechnerisch ausgeglichenem Markt
Pro unversorgtem Jugendlichen gab es zum Berichtsjahresende 1,8 unbesetzte Ausbildungsstellen. Für gut die Hälfte (55 Prozent) der unbesetzten Stellen gibt es zwar interessierte Jugendliche, es kommt aber trotzdem nicht zum Abschluss von Ausbildungsverträgen, weil der Betrieb die Bewerber/innen nicht für geeignet hält oder die Jugendlichen den Betrieb nicht für attraktiv genug halten.
Bei einem Drittel der unbesetzten Stellen liegt das Problem darin, dass es zu wenige interessierte junge Menschen für den angebotenen Ausbildungsberuf gibt. Dies betrifft besonders Branchen wie das Lebensmittelhandwerk oder das Hotel- und Gastronomiegewerbe.
TOP 8 Ausbildungsplatzwünsche der unversorgten Bewerber (Stand: 30. 09. 2022)
Die meisten Bewerber und Bewerberinnen, die zum Berichtsjahresende noch einen Ausbildungsplatz suchten, gaben folgende Wunschberufe an:
- Kaufmann/-frau Büromanagement
- Industriekaufmann/-frau
- Steuerfachangestellte/-r
- Medizinische/r Fachangestellte/r
- Kfz-Mechatroniker/in – PKW Technik
- Elektroniker/in – Energie-/Gebäudetechnik
- Immobilienkaufmann/-frau
- Bankkaufmann/-frau
TOP 10 der unbesetzten Berufsausbildungsstellen
- Handelsfachwirt/-in (Ausbildung)
- Kaufmann/-frau Büromanagement
- Elektroniker/in – Energie-/Gebäudetechnik
- Fachinformatiker/in – Anwendungsentwicklung
- Fachwirt/in – Vertrieb Einzelhandel (Ausbildung)
- Fachinformatiker/in – Systemintegration
- Kaufmann/-frau im Einzelhandel
- Verkäufer/in
- Kfz-Mechatroniker/in – PKW Technik
- Medizinische/r Fachangestellte/r