Bestatterin Patricia Tüchsen begleitet Menschen vor, während und nach ihrem Tod und stellt deren Wünsche in den Mittelpunkt.

„Sterben ist wie das letzte Mal nach Hause kommen“

Bestatterin Patricia Tüchsen
Bestatterin Patricia Tüchsen © Annemarie Lea Fuckel

Bochum. Patricia Tüchsen bezeichnet sich selbst als alternative und ganzheitliche Bestatterin. Ihre Unternehmensphilosophie überzeugte die Jury des Nachfolgepreises 2022 vom UnternehmensNachfolgeZentrum Deutschland.

Wenn man das Büro der Bestatterin Patricia Tüchsen aus Dortmund betritt, bemerkt man nicht gleich, wo man sich eigentlich befindet. Es ist hell, freundlich und lebensbejahend eingerichtet. Nur die Urnen im offenen Regal erinnern an das, was nach dem Leben kommt. Beruflich hat die gelernte Kauffrau für Büromanagement einige Stationen im In- und Ausland hinter sich. 2018 entschied sich die heute 29-Jährige „etwas Verrücktes zu machen“ und bewarb sich bei einem Bestattungshaus. „Anfänglich habe ich mich um sämtliche Büroarbeiten und die Begleitung der Abschieds-(Trauer)feiern in diesem Unternehmen gekümmert. Aber irgendwann wollte ich mit rausgehen, die Verstorbenen abholen, versorgen, waschen und ankleiden, den Sarg ausschlagen. So lernte ich das Bestatter-Handwerk on the job. Die Versorgung von Verstorbenen ist traditionell eigentlich eine Frauenaufgabe, früher haben das Hebammen übernommen.“

Weg in die Selbstständigkeit

Patricia Tüchsen ist keine gelernte Bestattungsfachkraft. So wie sie es brauchte, hat sie nach und nach verschiedene Fortbildungen absolviert. Vor zwei Jahren hat sie sich als mobile Bestatterin selbstständig gemacht. Dafür brauchte sie nur ein Gewerbe anzumelden, eine Eignungsprüfung oder ein Meistertitel sind für selbstständige Bestatter nicht vorgesehen. „Ich besuche die Angehörigen zuhause und regele dann alles. Dort fühlen sie sich in einer solchen Ausnahmesituation am wohlsten. Ich frage erst einmal, was passiert ist und ob es Wünsche seitens der Verstorbenen gibt. Was sind die Vorstellungen der Angehörigen? Wobei brauchen sie Unterstützung? Erst wenn dies alles geklärt ist und feststeht, welche Dienstleistungen in Anspruch genommen werden, erstelle ich einen ersten Kostenvoranschlag“, so die Bestatterin. „Mir ist eine gute Begleitung wichtig. Das, was ich ‚verkaufe‘, sind meine Zeit und Expertise. Meine Kunden sollen ein gutes Gefühl in dieser für sie schlimmen Situation haben. Ich betrachte auch die Familienstruktur und den Sterbeprozess an sich.“ Die junge Mutter eines 7-jährigen Sohnes ist darüber hinaus Sterbe- und Trauerbegleiterin, viele Menschen begleitet sie bereits schon vor deren Tod und kennt ihre Geschichten. Die Familien bringen ihr viel Vertrauen entgegen und geben oftmals intime Dinge preis.

Übernahme eines alteingesessenen Bestattungshauses

2022 wurde die Jungunternehmerin von der Inhaberfamilie des Dortmunder Bestattungsunternehmens Giese kontaktiert. Sie hatten den gleichen Dienstleister für die Überführung der Verstorbenen und kannten sich gut. Das Bestattungshaus suchte händeringend nach einer Nachfolgerin bzw. einem Nachfolger, die Inhaberin wollte in den Ruhestand gehen. Ihr Sohn Lars Giese, einer der beiden Geschäftsführer der Schreinerei Giese & Liebelt in Dortmund-Hombruch, wandte sich vergeblich an andere Dortmunder Bestatter. Schließlich entschied sich Patricia Tüchsen für die Übernahme des alteingesessenen Bestattungshauses. Nun führt sie seit Ende vergangenen Jahres parallel zwei Unternehmen. Ihre drei Mitarbeiterinnen sind für beide Betriebe tätig, bei Bedarf übernehmen externe Dienstleister anfallende Arbeiten.

Generell empfiehlt sie allen, die sich selbstständig machen möchten, aber vor allem Frauen, sich fachliche Hilfe zu holen. Man müsse nicht auf jedem Gebiet Expertin sein. Sie selbst hat sich in den letzten Jahren ein gut funktionierendes Netzwerk mit Unterstützern aufgebaut, darunter sind viele Frauen.

„Nicht immer nach Schema F“

„In der Regel sind es immer noch ältere Herren, die als Bestatter den Nachwuchs klassisch ausbilden. Auch ich habe das ‚Handwerk‘ von Männern gelernt. Seither weiß ich, wie ich es nicht tun möchte. Meiner Meinung nach versorgen Frauen die Verstorbenen anders als Männer, gehen anders an die Menschen und das Thema heran. Die jungen Kollegen und Kolleginnen hinterfragen oft nichts in ihrer Ausbildung. Aber es geht nicht immer alles nach Schema F, wir haben tausende Alternativen, wie wir die Toten und auch die Hinterbliebenen auf ihrem Weg begleiten können. Ich leiste Aufklärungsarbeit, um das Thema Sterben bzw. Tod aus der dunklen Ecke mitten ins Leben zu holen“, so Tüchsen weiter. Wird sie gefragt, was sie anders mache als die meisten ihrer Kolleginnen und Kollegen, antwortet sie: „Alles!“ Ein traditioneller Bestatter wollte ihr einmal zu verstehen geben: „Du kannst Bestattungen nicht neu erfinden.“ Sie entgegnete: „Doch, das kann ich.“ Für einen Verstorbenen, der gerne Cola trank, mischte sie beispielsweise Aroma-Düfte so, bis sie den Duft des Lieblingsgetränks zusammengestellt hatte. Sternenkinder bettet sie liebevoll in kleine Nestchen, nicht in kleine Särge. Und neben Erd-, Feuer- und Seebestattungen kennt sie weitere individuelle Möglichkeiten.

Angst vor dem Tod ist ganz natürlich

Die Arbeit als Bestatterin sei etwas ganz Besonderes, sie prüfe jedoch bei jeder Anfrage, ob sie die Kunden emotional begleiten könne. Kollegen schicken oft Eltern zu ihr, die ihre Kinder verloren haben: „So etwas berührt mich sehr, weil meine eigene Tochter auch während der Schwangerschaft verstorben ist.“ Patricia Tüchsen weiß, dass die Menschen Angst vor dem Tod haben, das sei ganz natürlich. „Ich möchte ihnen vermitteln, dass sie keine Angst haben müssen. Sterben ist wie das letzte Mal nach Hause kommen.“

Nachfolgepreis
2022 nahm Patricia Tüchsen Unternehmensberatung von Potenzialentwicklerin Gabriele Rempe in Anspruch, einer der Vorständ*innen vom UnternehmensNachfolgeZentrum Deutschland e.V. und wurde dadurch auch auf den Nachfolgepreis aufmerksam. Sie bewarb sich dafür und hat ihn Anfang des Jahres gewonnen. Ausgezeichnet wurden Gründer verschiedener Branchen aus ganz Deutschland.